Eine kurze Geschichte des Erzählers und seiner Märchen

Die Märchen und mein Leben...

...oder wie ich zu meiner Beruf-ung kam...

Geboren wurde ich in den 1950er-Jahren in den algerischen Hochebenen, an der Schnittstelle des Nordens und Südens, wo die Nomadenstämme im Frühjahr ihre Zelte aufschlagen und sich die städtische Kultur der Sesshaften mit den Traditionen der Beduinen vermischt.

Meine Mutter war eine Tochter aus dem Stamm der Ouled Sidi Khaled, einem in der ganzen Region bekannten Nomadenstamm. Sidi Khaled ist noch heute der Schutzpatron jener Gegend und sein Grab wird von Pilgern besucht, die den großen Heiligen, meinen Urahn, um Schutz und Hilfe ersuchen.

Nach der Heirat meiner Mutter mit einem baskischstämmigen Siedler, meinem Vater, änderte sich ihr Leben und das ihrer Familie grundlegend. Die Familie schlug ihre "chaima", ihr Nomadenzelt, neben der Farm meines Vaters auf und so wuchsen meine Geschwister und ich in beiden Welten zugleich auf: in den Traditionen und Überlieferungen der maghrebinischen Nomaden und in der organisierten Welt der französischen Kolonialisten. Meine Kindheit war eine Welt der Märchen und der Magie, ich lebte mit den Geschichten meines Stammes, wie ich sie von meiner Großmutter und Mutter erzählt bekam, in einer Welt, in der das Wunderbare bereits hinter dem nächsten Hügel wohnte und die Welt der menschenfressenden Oger und sprechenden Tiere nie weit weg von der Welt der Menschen schien.

In meiner Jugend waren wir immer nach Europa hin, vor allem nach Frankreich, orientiert. Ob in der Musik die wir hörten (Johnny Hallyday, Jacques Brel oder Elvis Presley) oder den beliebten Radiosendern, immer waren Frankreich und der Westen Hauptbezugspunkte.

Und so ging ich - französischer Staatsbürger, der ich ja war - schließlich nach Europa und kam bis nach Deutschland, wo ich meiner Frau begegnete. Ich gründete eine Familie und die Märchen "schliefen", dennoch trug ich meine Herkunft beständig in mir.

Meiner Schwester, Nora Aceval, ging es ähnlich. Sie war die erste in der Familie, die aus unserem "Erbe" einen Beruf machte - seit vielen Jahren ist sie in Frankreich erfolgreiche Märchenerzählerin und Autorin zahlreicher Bücher.

Für mich kam der "Moment der Wahrheit", als ich meine Schwester zu einem Treffen französischer Märchenerzähler begleitete. Eine Woche lang tagten wir in einem verwunschenen Loire-Schlösschen und der Kontakt mit diesen Erzählern erweckte die in mir schlafenden Geschichten aus ihrem Dornröschenschlaf.

 

Märchen sind in meiner Kultur etwas besonderes. Genau so wie das traditionelle Couscous bei uns im Maghreb einen besonderen, 'heiligen' Charakter hat, und als Opfergabe zu besonderen Anlässen gegeben wird, so gilt auch für das Erzählen von Märchen: sie sind ein Geschenk, eine Opfergabe!

Die Frauen (traditionellerweise sind bei uns die Frauen die Märchenerzähler) erzählen Märchen nicht am Tage. Bei Tageslicht zu erzählen gilt als Frevel, und man glaubt bei uns, dass es einen Fluch mit sich bringe: erzählt eine Frau ein Märchen vor Einbruch der Dunkelheit, bekommt sie eine seltene Schorfkrankheit und verliert ihre Haare. Nur einige wenige eingeweihte Frauen kennen das Ritual, mit welchem sie diesen Fluch umgehen und auch bei Tageslicht eine Geschichte erzählen können.

Aber nicht nur die Tageszeit ist beim Erzählen von Märchen zu beachten, es ist auch wichtig den Erzähler darum zu bitten, sein Geschenk, seine Opfergabe darzubringen. Oft haben wir unsere Mutter geradezu gedrängt, uns endlich ein Märchen zu erzählen.... - der Märchenerzähler will sicher sein, dass seine Zuhörer mit Leib und Seele seiner Geschichte lauschen, "ganz Ohr" sind, wie es auf Deutsch so schön heisst!

 

Heute können Sie mich für private und öffentliche Auftritte engagieren. Sehr beliebt ist auch mein algerisches "Couscous Royale", welches ich auf Wunsch auch für große Gruppen zubereite für einen ganz besonderen Abend mit maghrebinischer Küche und den Märchen meines Stammes!

 

Wie auch immer wir uns begegnen werden, ob in einem Buch, einer CD oder einem Auftritt: vergessen wir niemals, was das Erzählen dieser traditionellen Märchen bedeutet. Es ist eine große Verantwortung vor all den Menschen, die Jahrzehnte, Jahrhunderte, ja vielleicht sogar Jahrtausende vor uns lebten und dieselben Geschichten erzählten und hörten.

Wenn wir diese Geschichten für wenige Augenblicke wieder lebendig machen, so gedenken wir dieser unser aller Vorfahren nicht nur - wir machen auch sie wieder für eine kurze Zeit lebendig.

 

Das Wort reist, und es findet immer sein Ziel.